Polymetrik

Schwierige oder kniffelige Probleme, Feinheiten des Notensatzes etc.
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sebabbel
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Polymetrik

Beitrag von sebabbel »

Hallo allerseits!

Dies ist mein erster Beitrag hier und ich bin Finale-Frischling. :D

Ich bin gerade dabei einige Stücke zu transkribieren, in denen verschiedene gleichzeitig ablaufende Taktarten vorkommen. Ein vereinfachtes Beispiel: Stimme1 spielt einen 4/4-Takt, während Stimme2 einen 3/4-Takt spielt. Die 4tel sind dabei gleich lang, so dass sich die Takte ineinander verschieben.

Im Finale-Handbuch (Finale 2009) steht im Artikel zu Polyrhythmik, wie man in verschiedenen Systemen unabhängig voneinander unterschiedliche Taktarten eingeben kann: "Mit der im folgenden beschriebenen Methode können Sie eine Partitur erstellen, in der jedes Notensystem eine unterschiedliche Taktart-Angabe trägt. Die Notensys-teme werden nicht in unterschiedlichen Metren wiedergegeben, die Musik in allen Notensystemen wird aber in den korrekten Abständen (und mit korrekten Balkenverbindungen) gesetzt werden."

Das mit den korrekten Abständen stimmt nur leider nicht. Die Taktstriche der verschiedenen Systeme sind immer fest miteinander verbunden, so dass in einem System 4/4 gegen die darunter gleichzeitig stattfindenden 3/4 gehen. Die 4tel im 4/4-Takt laufen also immer schneller ab, als die 4tel im 3/4-Takt.
Wenn ich das haben wollte, könnte ich doch auch mit X-tolen arbeiten. Das macht die Polyrhythmik-Funktion doch völlig überflüssig, oder? Und so verstehe ich auch nicht den oben erwähnten Auszug aus dem Handbuch.
Das finde ich etwas enttäuschend dafür, dass es die Funktion eigentlich ja gibt. Sie wird dadurch quasi unbrauchbar. :?

Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, die Noten korrekt darzustellen, wäre also alles in einer Taktart darzustellen, die Taktstriche auszublenden und anschließend per Hand als grafische Elemente neu einzutragen. Richtig? Verhältnismäßig nur leider sehr viel aufwändiger...

Hat jemand eine andere Idee?

Schöne Grüße,
Sebastian
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Tausig
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Beitrag von Tausig »

Erste "einfache" Möglichkeit: das kleinste gemeinsame Vielfache. Du schreibst also statt 3/4- und 4/4-Takt einen 12/4-Takt, dessen Taktart-Anzeige du versteckst. So fallen jeder vierte Taktstrich des 3/4-Taktes und jeder dritte Taktstrich des 4/4-Taktes zusammen, die restlichen Taktstriche mußt du von Hand hineinbugsieren.
Zweite "einfache" Möglichkeit: der größte gemeinsame Teiler. Das ist 1/4. Du schreibst also alles als 1/4-Takt (für Notenwerte größer als 1/4 umständlich zu handhaben, wenn auch lösbar) und unterdrückst die überflüssigen Taktstriche über Notensystemstile.

Daß das Handbuch "Polymetrik" unter "Polyrhythmik" verzeichnet, wollen wir ihm mal nicht übelnehmen. Daß Finale grundsätzlich taktgebunden ist, ist ein Manko der ersten Stunde und wird sich nicht mehr ändern lassen, weil die gesamte interne Datenstruktur des Programms so aufgebaut ist. Leider. Und zu allem Leidwesen steckt die immerhin vorhandene Möglichkeit unabhängiger Taktarten pro Notensystem, die aber nur gleiche Dauer verschiedener Taktarten gestattet, auch noch voller Bugs.
Geteilte Bratsche ist halbes Leid.

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stefan schickhaus
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Beitrag von stefan schickhaus »

Hallo Sebabbel,

zu Tausigs empfehlenswerter zweiter Methode sei noch der Vollständigkeit halber folgendes ergänzt: Taktzähler sind ja generell eher unüblich bei dieser Art von Poly-Komposition. Falls du doch welche haben möchtest, musst du über die entsprechende Funktion im Takt-Tool jene Takte aus der Zählung herausnehmen, die nur fingierte Einzeltakte sind.

Und, ach ja: Willkommen hier im Forum!
Finale 2012 bis 27 auf MacOS 10.13.6, iMac 27''
sebabbel
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Beitrag von sebabbel »

So, nach einem erlebnisreichen Finale-Tag melde ich mich zurück:

1. Musste ich feststellen, dass das Programm mit vielen versteckten Bugs versehen ist.
2. Sind viele weit verbreitete Befehle hier nicht mit integriert (z.B. Kopieren durch Strg + Mausklick), wodurch es leider nicht so intuitiv erlernbar ist.
Aber Schwamm drüber, darum ging es hier ja nicht.

Die Methode mit den 1/4-Takten war in meinem Fall leider nicht praktikabel, da die verschiedenen Takte extrem metrisch dissonant verlaufen (4/4 gegen 25/16) und sehr viele unterschiedliche Synkopen vorkommen. Im Grunde genommen waren aber schließlich die Synkopierungen mein Hauptproblem, da ich eine von mir zuvor in Cubase erstellte MIDI-Datei importiert habe und nicht alles neu schreiben wollte.
Damit ich die Synkopen (über die Quantisierungeinstellungen) auch tatsächlich raffen konnte, musste ich eine Taktart auf 16tel-Basis erstellen und diese dann möglichst groß wählen, damit ich so wenig Taktübergänge wie möglich bekomme. Nach dem guten Tipp von Tausig, einen Takt nach einem gemeinsamen Vielfachen einzustellen, fasste ich zunächst den kühnen Plan, den gesamten Ausschnitt in einen einzigen Takt zu schreiben... Leider machte mir Finale da einen Strich durch die Rechnung: Es gehen höchstens 100/16-Takte :wink:
Wunderbarerweise funktionierte es aber eben genau mit einem 100/16-, einem 28/16- und wieder einem 100/16- und 28/16-Takt.
Fragt sich nur, ob das mit den restlichen Stücken auch so geht... :shock:

Ähh...gibt es denn Notations-Programme, die NICHT auf Taktbasis programmiert sind?
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Tausig
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Beitrag von Tausig »

Eine dritte Möglichkeit sei, auch wenn du nun schon anders vorgegangen bist, noch nachgetragen. Man schreibt folgende 6 Takte:
3/4, 1/4, 2/4, 2/4, 1/4, 3/4
Anzeigen läßt man folgende Taktstriche:
Vierviertel-Takt: | 3/4 1/4 | 2/4 2/4 | 1/4 3/4 |
Dreiviertel-Takt: | 3/4 | 1/4 2/4 | 2/4 1/4 | 3/4 |
Hat man diese 6 Takte erst einmal erstellt und mit Notensystemstilen versehen, muß man sie nur noch durch Kopieren vervielfachen. Gegenüber lauter 1/4-Takten hat des evtl. den Vorteil, daß man wenigsten 2 vollständige 3/4-Takte erhält und insgesamt die kleinstmögliche Anzahl von Takten, was das Gefummel bei der Eingabe von Notenwerten, taktübergreifenden Balken usw. reduziert.

Den Ausdruck "Konfliktrhythmen" kenne ich, der Ausdruck "metrisch dissonant" war mir neu. Das Gefummel mit lauter 1/16-Takten stelle ich mir eher noch mühsamer vor, als das Gefummel mit taktübergreifenden Xtolen. Anbei ein Beispiel, das mit obigem Muster entstand:
http://finaleforum.superflexible.net/fi ... ly_926.gif
Die Xtole ist getürkt, es sind in Wahrheit 19 Noten im ersten Takt, 6 im zweiten. Die 6 muß man ein bißchen zurechtschieben, damit es nicht aussieht, als fiele das erste 16tel der Xtole auf den Taktanfang, denn rechnerisch müßte es ja kurz dahinter stehen.
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sebabbel
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Beitrag von sebabbel »

Schöne Idee, sieht auch gut aus!

Der Ausdruck "metrische Dissonanz" stammt von Harald Krebs' "Metrical Dissonance in the Music of Robert Schumann" (1999). "Konfliktrhythmen" kannte ich nicht und habe den Begriff deshalb direkt ins Deutsche übersetzt.

Ich weiß nicht, ob Du mich falsch verstanden hattest, aber ich habe keine 100 1/16 Takte aneinander gefügt, sondern unter 'Taktart-Angabe' einen einzelnen Takt bestehend aus 100 16teln angewählt. Also einen 100/16-Takt. Klingt absurd, geht aber.
Hier ist mein Tagewerk:
http://www.finaleforum.superflexible.ne ... ze_137.gif

Vielen Dank für all die guten Ratschläge, Ihr habt mir wirklich sehr geholfen!

Schöne Grüße,
Sebastian
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Tausig
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Beitrag von Tausig »

Deine ursprüngliche Angabe, daß 4/4 gegen 3/4 laufen, war offensichtlich nur als beliebiges Beispiel gemeint und bezog sich nicht auf dein Stück. Die Angabe, daß 25/16 gegen 4/4 laufen, hatte ich darum als irreguläre 25/16 in einem 4/4-Takt gegen einen 3/4 mißverstanden. Nun hast du aber reguläre 128/16 gegen 8 mal 4/4, und das könnte man doch problemlos als 32/4-Takt oder 16/2 oder 8/1 schreiben. Wählt man kleinere Takte, wäre es ansonsten auch kein Problem, die Synkopen taktübergreifend hinzubekommen. Noch einfacher wäre also vielleicht, alles als 4/4 zu schreiben.
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sebabbel
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Beitrag von sebabbel »

Ich denke, dass es normalerweise am leichtesten wäre, den Teil in einen einzigen Takt zu schreiben (8/1, 16/2, usw.). Einen 4/4-Takt zu benutzen halte ich wegen der Synkopierungen für zu aufwändig.
ALLERDINGS hat Finale da eine riesige Macke: Es gibt Bearbeitungsschritte, bei denen - ohne dass ich dies möchte - die Noten vom Programm neu eingeteilt werden, wobei auch die Synkopen neu gesetzt werden. Und dabei kommt es auf die Quantisierungseinstellungen an. Wenn man, wie bei meinem Beispiel synkopierte 16tel benutzt, lassen diese sich automatisch nur dann raffen, wenn man einen auf 16tel bezogenen Takt eingestellt hat.
Ein erfahrener Finale-User kann diese Bearbeitungsschritte bestimmt umgehen - ich bin hingegen immer wieder darüber gestolpert und habe mich deshalb für einen 100/16-Takt entschieden.
Außerdem hatte ich die Noten nicht direkt in Finale eingegeben, sondern als MIDI-Datei importiert, wodurch ich die Quantisierungseinstellungen eh nicht umgehen konnte. Ich hatte die Datei zuvor in Cubase erstellt, um das Notationsprogramm von Cubase mit Finale zu vergleichen. Ich hoffte dann, durch das Importieren der ja bereits eingegebenen Noten Zeit zu sparen - leider vergebens. Es hat mit Sicherheit viel länger gedauert. Aber man lernt ja aus seinen Fehlern.

Das nächste Beispiel werde ich aber trotzdem versuchen in einen 32/4-Takt zu schreiben und den Kampf mit den Synkopen aufnehmen...
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